Die "Religionsgeschichtliche Schule"


















Kurzeinführung
Der rel.gesch. Ansatz
Die Keimzelle
Die theol. Väter
Der ak.-theol. Verein
Die kleine Fakultät
Das theol. Stift
Die Germania
Rel.gesch. Kreise
Die Bildung der RGS
Absolutheit des Chr.
Popularisierung
Vier Prinzipien
Rezeption der RGS
Perspektiven der RGS

Die Bildung einer eigenständigen Ausrichtung, der "Religionsgeschichtlichen Schule" (1898-1903)

(=> Auszug aus: "Die Göttinger Wurzeln der 'Religionsgeschichtlichen Schule", STRS 1)

Der Bruch mit den "Ritschlianern" leitete 1898 eine Phase der Identitätsfindung ein, die bis 1903 andauerte. Daß die Befreiung zu historischer Forschung wesentlich neue Ergebnisse gerade auf dem Gebiet der biblischen Wissenschaften bringen würde, war Befürwortern wie Gegnern der "religionsgeschichtlichen Methode" bewußt. Schließlich lagen bahnbrechende Werke von Mitgliedern der "kleinen Göttinger Fakultät" schon seit längerem vor [z.B. Wilhelm Bousset, Jesu Predigt im Gegensatz zum Judentum, Göttingen 1892; Hermann Gunkel, Schöpfung und Chaos in Urzeit und Endzeit, Göttingen 1895; Ernst Troeltsch, Die Selbständigkeit der Religion, in: ZThK 5.6 (1895.96); Johannes Weiß, Die Predigt Jesu vom Reiche Gottes, Göttingen 1892; ders., Die Nachfolge Christi und die Predigt der Gegenwart, Göttingen 1895 und William Wrede, Über Aufgabe und Methode der sogenannten Neutestamentlichen Theologie, Göttingen 1897].

Die Abgrenzung zwischen den liberalen Theologen unterschiedlicher Ausrichtung verschärfte sich, wobei es zunächst unklar blieb, ob eine der theologischen Richtungen sich gegen die anderen würde durchsetzten können. Die religionsgeschichtliche Richtung begann, eigene Organisationsstrukturen auszubilden. Eigene Publikationsorgane wurden gegründet (als erstes 1897/98 die von Wilhelm Bousset und Wilhelm Heitmüller herausgegebene "Theologische Rundschau"), deren Zielgruppe Pfarrer und Religionslehrer waren. Auch die Vortragsaktivitäten wurden nun zum Teil zentral koordiniert.

Neben weiteren Untersuchungen zum zeitgenössischen Judentum und der hellenistischen Religion entstanden programmatische apologetische Schriften zur Rechtfertigung der religionsgeschichtlichen Methode. Der religionsgeschichtliche Ansatz führte in dieser Zeit zu einer vehement geführten Debatte um die Absolutheit des Christentums. Diese gipfelte in der kontroversen Diskussion um Ernst Troeltschs Vortrag und Buch "Die Absolutheit des Christentums und die Religionsgeschichte" (Tübingen 1902).

Erst 1902/3 kann von der eigentlichen "Religionsgeschichtlichen Schule" gesprochen werden [Die Entstehung des Begriffs "Religionsgeschichtliche Schule" ist weiterhin ungeklärt. Die erste überlieferte Erwähnung stammt aus einem Brief von Hermann Bousset, dem Bruder Wilhelms, an den Verleger Gustav Ruprecht in Göttingen vom 26.2.1903 (abgedruckt in Lüdemann/Schröder, S. 16)]. Bahnbrechende Publikationen hatten die Eigenständigkeit der religionsgeschichtlichen Richtung erwiesen. Der Machtkampf innerhalb der "liberalen" Theologie war vorüber und endete in einem Nebeneinanderexistieren der "Ritschl'schen" und der "religionsgeschichtlichen" Richtung. Deren Hauptvertretern, überwiegend Mitglieder der ehemaligen "kleinen Göttinger Fakultät", schlossen sich weitere Theologen und Religionslehrer an - zum ersten Male besonders auch direkte Schüler der ersten Generation. Erst durch diese Entwicklung wurde die religionsgeschichtliche Bewegung tatsächlich zur "Schule".

Doch auch zur "Schule" in einem anderen Sinn entwickelten sie sich jetzt: Konstitutiv wurde das Bestreben, die teilweise revolutionären Ergebnisse ihrer Forschungsarbeit einer möglichst breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen, um so das religiöse Bewußtseins in allen Bevölkerungsschichten zu erweitern. Mit der Schaffung von weiteren Publikationsorganen zielten sie ab 1903 speziell auf "gebildete Laien" als Leserschicht; die kirchliche/gemeindliche Ebene wurde nun mehr und mehr verlassen. Die populärwissenschaftlichen Publikationen der "Religionsgeschichtlichen Schule" - Buchreihen wie die "Religionsgeschichtlichen Volksbücher", die "Lebensfragen", die "Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments" (FRLANT) oder das "Göttinger Bibelwerk", aber auch ihr großes Lexikonwerk "Die Religion in Geschichte und Gegenwart" - fanden zunehmend regen Absatz. Damit avancierte die "Religionsgeschichtliche Schule" zu einem Führer der "Volksbildung".

Alf Özen, 1996