Der akademisch-theologische Verein in Göttingen(=> Auszug aus: "Die Göttinger Wurzeln der 'Religionsgeschichtlichen Schule", STRS 1) Zwar entwickelte der "Eichhorn-Kreis" seine neuartigen Ideen in ständiger Auseinandersetzung mit seinen theologischen Lehrern. Doch fand diese nicht nur in den Hörsälen statt. Hier keimten lediglich erste Ideen auf, die im gemeinsamen Kreis der Freunde außerhalb der Vorlesungsverpflichtungen diskutiert und weiterentwickelt werden mußten.
Somit kommt neben den universitären Aktivitäten der "Religionsgeschichtler" ihren außeruniversitären Beziehungen eine große Bedeutung zu. Hier gab es durchaus genügend Möglichkeiten, die interessierte Studenten zur Entwicklung oder Festigung von eigenen theologischen Positionen nutzen konnten. 1878 hatte sich "im studentischen Rahmen an der Universität Göttingen neben den vielen bereits vorhandenen studentischen Verbindungen ein zunächst nur auf Theologen bezogener 'akademisch-theologischer Verein' konstituiert" [vgl. Nittert Janssen, Theologie fürs Volk. Eine Untersuchung über den Einfluß der Religionsgeschichtlichen Schule auf die Popularisierung der theologischen Forschung vor dem Ersten Weltkrieg unter besonderer Berücksichtigung des kirchlichen Liberalismus in der lutherischen Landeskirche Hannovers, Göttingen 1993, S. 16 (dieser Band ist vergriffen; Restexemplare können noch bezogen werden über das Archiv "Religionsgeschichtliche Schule", Platz der Göttinger Sieben 2, 37073 Göttingen)], an dessen Gründung auch William Wrede und Wilhelm Bornemann beteiligt waren. Sein Ziel war "eine Gemeinschaft Theologie Studierender mit dem Zwecke gemeinsamer theologischer Ausbildung und der Pflege freundschaftlichen Verkehrs" [Paragraph 1 der Statuten (Universitätsarchiv Göttingen, Sekretariatsakten X G 2, 693 [97])]. Man traf sich zu wöchentlichen Zusammenkünften, in denen jeweils ein Mitglied ein Referat zu ausgesuchten Themen vortrug. Es war üblich, daß sich an diese Vorträge längere Diskussionen anschlossen. "Das Kaffee Cron & Lanz, damals noch im südlichen Eckhaus von Theater- und Weender Straße, sah unseren regelmäßigen Mittagstisch [...], sah unsre arbeitsreichen Sitzungen, unsre oft geistsprühenden Kneipen", berichtet Johannes Bornemann [Johannes Bornemann, Ein hannoverscher Theologe um die Jahrhundert-Wende. Otto Gehrke. Erinnerungsbilder mit Ausblicken auf unsere kirchliche Zukunft, Göttingen 1932, S. 13 (zitiert in Janssen, S. 18)]. Ebenfalls einmal in der Woche wurde der zweite Teil der Vereinsstatuten erfüllt: Zur Pflege des freundschaftlichen Verkehrs wurde jeden Samstag eine "Kneipe" abgehalten, die sich oft bis weit nach Mitternacht hinzog und an der sich natürlich auch die "Religionsgeschichtler" aktiv beteiligten. Doch manchmal schlug man auch ein wenig über die Strenge. Immerhin waren die Studenten gerade 20 Jahre alt, und auch die angehenden Lizentiaten waren nicht viel älter. Ihre Späße unterschieden sich kaum von den heutigen:
Aus dem Eichhorn-Kreis waren in der ersten Hälfte der 80er Jahre William Wrede sowie die Brüder Wilhelm und Johannes Bornemann Mitglieder im akademisch-theologischen Verein, in der zweiten Hälfte desselben Jahrzehnts gehörten Hermann Gunkel und Karl Mirbt zu ihrem Kreis, wie überhaupt trotz aller theologischer Differenzen "die Mehrzahl mit Begeisterung Albrecht Ritschl und Hermann Schultz anhing" [Bornemann, S. 19]. Es fällt auf, daß von den vier Gründungsmitgliedern der später auch für die Entwicklung zur "Religionsgeschichtlichen Schule" wichtig werdenden liberalen Zeitschrift "Christliche Welt" mit Wilhelm Bornemann, Friedrich Loofs und Paul Drews allein drei dem akademisch-theologischen Verein angehörten. Lediglich Martin Rade zählte nicht dazu; er hatte nie in Göttingen studiert. Neben den studentischen Mitgliedern konnten bei den Zusammenkünften auch Professoren, Privatdozenten oder vor der Lizentiatenprüfung stehende Theologen begrüßt werden, und zwar in einem regelmäßig sich einfindenden Kreis. Besonders häufig nahm Bernhard Duhm als Gast an den Vereinsabenden teil. Von den Lizentiaten waren Gunkel, Mirbt, Weiß und später Rahlfs, sowie der nach Göttingen zurückgekehrte Wrede oft dort gesehene Gäste, nicht nur bei den wissenschaftlichen Vorträgen, sondern auch bei den geselligen Kneipen. Man fühlte sich als "Clique" und empfand die gemeinsamen Abende als harmonisches Zusammensein mit guten Freunden. Diese Gemeinschaft gleichgesinnter angehender Theologen blieb auch während des Habilitationsprozesses bestehen: man half sich gegenseitig durch die Disputation. So traten die Freunde für einander als Opponenten bei der Verteidigung der Lizentiatenthesen auf:
Nur einen Monat später habilitierte sich Johannes Weiß, der spätere Schwiegersohn Albrecht Ritschls. Auch er hatte zwei Freunde zu Opponenten:
Wiederum nur 4 Monate später verteidigte Hermann Gunkel seine Thesen. Die Opponenten: Karl Mirbt und Johannes Weiß. Alf Özen, 1996 |
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